Thursday, September 16, 2010

Stuttgart 21 - welche Argumente überwiegen denn nun?

Auf der Webseite des "Bahnprojekt Stuttgart-Ulm e.V" (www.das-neue-herz-europas.de) ist mir heute das folgende Logo aufgefallen:
"Die guten Argumente überwiegen" .. hmmmmmmm. Ist das nicht schon rein semantisch fragwürdig, sollte das nicht wenn überhaupt heißen "Die Argumente dafür überwiegen"? Man mag mich hier der Haarspalterei veruteilen, aber ob ein Argument nun gut oder schlecht ist hat doch nichts damit zu tun, ob es ein Pro- oder ein Contra-Argument ist, oder?

Hier z.B. ein Pro-Argument von obiger Webseite:
Wegen der neuen Schnellfahrstrecke fährt der Großteil der Fernzüge nicht mehr durch das Neckartal. Die neue Trasse führt künftig vom Hauptbahnhof durch den Fildertunnel auf die Filder. Durch den Ringverkehr fahren die Züge künftig unterirdisch durch die Stadt. Das heißt: Mehr Schienenverkehr, aber weniger Lärm, weil mehr als 30 Kilometer der Strecke in Tunnels verlaufen.
Das ist ein gutes Argument. Wenn der Tunnel erst einmal fertig ist und die Züge da durch fahren, ist das für sich gesehen eine tolle Sache - das Argument selbst ist nicht angreifbar, statt dessen müssen Gegenargumente (und zwar ebenfalls gute) vorgetragen werden.

Hier dagegen ein Pro-Argument von der Webseite www.stuttgart21-ja-bitte.de:
Würde man Stuttgart 21 jetzt noch abwürgen, wären nicht nur die Kosten hunderttausender Arbeitsstunden sondern auch der Kaufpreis von 459 Mio. Euro für die Grundstücke - die ja dann nicht nutzbar wären - in den Sand gesetzt.
...
Es wäre ja auch das komplette Chaos und der wirtschaftliche Ruin, wenn man rechtmäßig getroffene Entscheidungen noch nach so langer Zeit wieder kippen könnte. Langfristiges zukunftsorientiertes Handeln wäre gar nicht möglich. An einem gewissen Punkt müssen demokratische Entscheidungen auch respektiert werden.
Das halte ich für ein schlechtes Pro-Argument. Die bisher investierten "Arbeitsstunden" und "459 Mio. Euro" sind sunk costs. Und es sollte ja wohl bitte zu jedem Zeitpunkt möglich sein, Entscheidungen zu revidieren, die sich nach erneuter Überprüfung als falsch herausstellen. Im Gegenteil, gerade bei langfristigen Projekten düfte eine regelmäßige Kursüberprüfung sinnvoll sein - z.B. könnten sich die Rahmenbedingungen geändert haben, früher getroffene Annahmen könnten sich inzwischen als falsch herausgestellt haben, Prioritäten könnten sich verschoben haben usw. Es ist daher gar kein Gegenargument nötig, das Argument hält bereits in sich einer genaueren Überprüfung nicht stand.

Bei schlechten Argumenten ist nebenbei gelegentlich Skepsis angebracht. Möglicherweise wurden diese wiederum von der Gegenseite ins Spiel gebracht, um sämtliche Argumente - auch die guten - in ein schlechtes Licht zu rücken ("Poisoning the well" Strategie).

Ein besonderer Fall von schlechten Argumenten sind solche, die nicht auf logischen Widersprüchen, sondern auf Halbwahrheiten oder Unwahrheiten beruhen. Hier z.B. ein weiteres Zitat von der Webseite des Bahnprojekt Stuttgart-Ulm e.V. - unter der Überschrift 21 gute Gründe für Stuttgart 21 wird behauptet:
Mit dem Bahnknoten Stuttgart und der Neubaustrecke nach Ulm wird das Reisen quer durch Europa schneller und bequemer. Die Züge müssen an der Geislinger Steige, dem größten Engpass des europäischen Schienennetzes, nicht mehr herunterbremsen. Von Stuttgart nach München dauert eine Zugfahrt nur noch gut eineinhalb Stunden.
Dies ist ein schlechtes weil irreführendes Argument: die Geislinger Steige ist Teil der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm und hat mit Stuttgart 21 nichts zu tun, d.h. unter der genannten Überschrift hat das Argument nichts verloren. Hier werden ganz bewusst zwei getrennte Themenbereiche miteinander verbunden.

Nun mal ein Blick auf die Argumente der Gegenseite. Eines der wesentlichen Contra-Argumente sind die enormen Kosten des Projekts, verbunden mit einer möglichen weiteren Kostenexplosion. So wird z.B. auf der Webseite www.kopfbahnhof-21.de argumentiert:

Seit Beginn der Planungen kam es zu enormen Kostensteigerungen, scheibchenweise kommt die wahre Dimension ans Licht. Die für Frühjahr 2010 zugesagten Ergebnisse der Wirtschaftlichkeitsüberprüfung der Neubaustrecke Wendlingen - Ulm - und damit aktuelle und realistischere Baukosten - liegen immer noch nicht vor. Statt 6,5 Milliarden Euro werden Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen - Ulm mindestens 10 Milliarden Euro kosten und zum weit überwiegenden Teil aus öffentlichen Kassen finanziert. Über die Finanzierung dieser Mehrkosten wurde kein Einvernehmen hergestellt.

Eindeutig ein gutes Argument - vorausgesetzt die genannten Zahlen stimmen, ist es kaum angreifbar. Oder würde jemand argumentieren wollen, es sei doch ganz gut, die Öffentlichkeit lieber ein wenig im Unklaren über die Kosten des Projekts zu lassen? Wohl kaum.

Aber, gleich das nächste Argument auf der gleichen Seite erscheint mir schon nicht mehr so stichhaltig:

Bund, Länder und Kommunen weisen Rekordverschuldungen auf, die Regierung hat einen harten Sparkurs ausgerufen. Bereits vorher war der Verkehrsetat drastisch unterfinanziert. Wichtige Verkehrsprojekte werden dem Rotstift zum Opfer fallen. Die knapper werdenden Gelder müssen Projekten mit einem hohen verkehrlichen Nutzen, den weder Stuttgart 21 noch die Neubaustrecke aufweisen, zufließen. Jetzt gilt erst recht: Stuttgart 21 ist nicht zeitgemäß.

Naja. Sparkurs war immer, ist immer, wird immer sein. Aber wenn man den Befürwortern glauben schenkt, ist das Projekt ja eine Investition, das langfristig eine entsprechende Rendite abwirft - so behauptet z.B. die Stadt Stuttgart, langfristig mehr Steuern einzunehmen, als ihr Finanzierungsanteil kosten wird. Genausogut könnte man nun daher nun die ganze Argumentation auf den Kopf stellen und sagen, dass wir doch gerade in Zeiten knapper Haushalte unternehmerisch denken und öffentliche Mittel in Projekte mit entsprechender Rendite investieren müssten ... daher ist dies, meiner Ansicht nach, ein schlechtes Argument. Dieses Mal eins der Contra-Seite.

Wenn wir uns nun darauf einigen, grundsätzlich nur die guten Argumente zu betrachten - sowohl Pro- als auch Contra - welche "überwiegen" denn nun?

Meine Gedanken hierzu sind die folgenden:
  • Wirtschaftlich: ich weiß unterm Strich nicht, ob Stuttgart 21 eine gute Investition wäre oder nicht. D.h. ob die hieraus entstehenden Mehreinnahmen langfristig höher wären als die Kosten. Mangels Kristallkugel kann dies im Endeffekt niemand wissen, sondern nur auf der Basis von zahlreichen Annahmen schätzen.
    Das Problem ist, das es kaum noch möglich ist, den Verantwortlichen hier noch ein Wort zu glauben. Über die tatsächlichen Kosten und Risiken herrscht Unklarheit, fast täglich kommen neue Unstimmigkeiten ans Licht. Das Projekt ist offensichtlich politisch gewollt und wird schöngerechnet.
    Also? Es könnte trotzdem sein, dass Stuttgart 21 tatsächlich wirtschaftlich rentabel ist, aber ich halte es für unwahrscheinlich und glaub's jetzt daher einfach mal nicht.

  • Ökologisch: Über 200 Bäume im Stuttgarter Schlossgarten zu fällen .. das tut schon weh. Ansonsten, angeblich keine Gefahr für Mineralquellen und Grundwasser - aber wie gesagt, Thema Glaubwürdigkeit..

  • Bauzeit: seien wir realistisch, das ganze wird 10-15 Jahre dauern, bis es fertig ist. Ehrlich gesagt, wenn das wirklich durchgezogen wird, bin ich ganz froh gerade nicht mehr in Stuttgart zu wohnen.

  • Nutzen: also jenseits der Wirtschaftlichkeit aus Sicht des Steuerzahlers, was hätten wir davon als Besucher in Stuttgart und als Bahnkunde? Sicher, es wäre ganz nett, am Flughafen Stuttgart zu landen und gleich in den ICE zu steigen wie in Frankfurt. Aber im Gegenzug entsteht mit dem unterirdischen Hauptbahnhof doch ein neuer Flaschenhals - mit gerade einmal 8 Gleisen. Reicht das wirklich aus, langfristig? Klingt für mich eher nach mehr Gedränge, weniger Komfort, und keinerlei Möglichkeit, die Kapazität später zu erhöhen.

Gut, ich hab mir meine Meinung jetzt gebildet: ich bin für die Bahnstrecke Wendlingen-Ulm, aber gegen Stuttgart 21. Und jetzt kann ich auch ruhigen Gewissens der Facebook-Gruppe "KEIN Stuttgart 21" beitreten.

Und gegen die CDU war ich sowieso schon immer. :-)
























4 comments:

  1. es ist nanchmal gut einen blogeintrag zu schreiben, damit jemand anfaengt blogeintraege zu schreiben.

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  2. Netter Blogbeitrag, weil mit der Gewichtung von Argumenten arbeitend. Ich hatte mich auch daran versucht und andere Ergebnisse erhalten:
    http://alsoeigentlich.de/ja-nein-ich-mein-jein-stuttgart-21 und http://alsoeigentlich.de/neues-zu-stuttgart-21

    Deine Gedanken sind gut und richtig. Gerade der Punkt Wirtschaftlichkeit wird von keinem Menschen, selbst von Experten, einschätzbar sein. Welche Stadtentwicklung wir in 10-15 Jahren haben werden, kann auch von Experten nicht beurteilt werden. Was ich dort immer anführe ist, dass das Gegenmodell Kopfbahnhof 21, zwar günstiger, allerdings nicht extrem viel günstiger ist. Hier gibt es Kalkulationsmodelle die nur von 10% geringeren Kosten ausgehen. Unterm Strich wäre also nicht viel gewonnen. Zumal die Bahn und der Bund keine Finanzierungszusagen für K21 gegeben hätten, weil es den Schienenverkehr nach und durch Stuttgart nicht verbessert. Insofern wäre die Finanzierung für K21 selbst mit niedrigeren Kosten nicht gewährleistet. Zumindestens die anteiligen Kosten die durch die Deutsche Bahn bezahlt werden, werden bei K21 also nicht übernommen.

    Ökologisch gesehen kann ich S21 nicht ausreichend beurteilen. Ich bin kein Geologe. Wir haben aber relativ viele Tunnel und Tiefbauten in und um Stuttgart und viele fähigen Bauingenieure denen ich vertraue. Bäume zu fällen ist immer schlimm. Bei K21 wird aber der ICE-Tunnel nach München durch den Schloßgarten und unter den Rosenstein verlaufen. Bei den Bauarbeiten müssten auch Bäume gefällt werden. Wieviele kann ich nicht sagen, aber ob das jetzt 50 mehr oder weniger sind? Sollte dass das Kriterium für oder wider das Projekt sein?

    Bei der Bauzeit ist es so, dass bei K21 die Bauarbeiten im Gleisvorfeld alle im laufenden Betrieb stattfinden müssen. Die Sanierungsarbeiten behindern also direkt den Schienenverkehr. Während der Bauphase hat man also ständig mit Beeinträchtigungen zu rechnen. Bei S21 gibt es die natürlich auch, durch der parallele Bau des neuen Bahnhofs und dem Aufrechterhalten des Kopfbahnhofs allerdings nicht in dem Umfang. Wielange die Bauarbeiten bei K21 dauern würden, habe ich leider noch nirgendwo nachlesen können. Ich glaube aber nicht, dass wir da, wie schon bei den Kosten, von wesentlich weniger ausgehen können.

    Und der Nutzen. Im Moment gibt es zwei zweigleisige und eine eingleisige Strecke. Der Ausbau für K21 mit zwei neuen Gleisen ist hoch umstritten. Geplant waren 1997/1998 eine Hochtrasse bei Untertürkheim, Obertürkheim bzw. Mettingen zu bauen und so die Schienen zu erweitern. Da gab es aber massive Bürgerproteste dagegen. Deswegen wurden diese Trassen für Stuttgart 21 unterirdisch geplant. Sollte der Ausbau dennoch möglich sein, so reden wir über eine eingleisige und drei zweigleisige Strecken im K21-Modell. Bei S21 gibt es vier zweigleisige Strecken. Es gibt bei S21 also mit acht Gleisen MEHR Gleise als bei K21. Unter der Voraussetzung dass der Ausbau bei K21 überhaupt möglich ist.

    Ich will dich nicht bekehren und ich wollte auch gar nicht so Pro-S21 kommentieren. Aber mir war wichtig deine Argumente noch mit weiteren Informationen zu unterfüttern.

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  3. Inzwischen gibt's hier wohl nur noch Experten, oder?!

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